U. Boschung: Repertorium zu Albrecht von Hallers Korrespondenz

Titel
Repertorium zu Albrecht von Hallers Korrespondenz 1724–1777.


Herausgeber
Boschung, Urs; Bucher-Braun, Barbara; Hächler, Stefan; Ott, Anne K.; Steinke, Hubert; Stuber, Martin
Reihe
Studia Halleriana, VII, 1–2
Erschienen
Basel 2002: Schwabe Verlag
Anzahl Seiten
Preis
€ 138,50
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Andreas Würgler, Historisches Institut, Universität Bern

Das interdisziplinäre Berner Haller-Projekt um den Medizinhistoriker Urs Boschung präsentiert mit diesem Repertorium zwei gewichtige und schön gestaltete Bände, die nicht nur die Haller-Forschung auf eine neue Grundlage stellen, sondern auch zahlreiche weitere Forschungsrichtungen. Das Repertorium bietet eine systematische Übersicht über die Korrespondenz des Berner Universalgelehrten Albrecht von Haller (1708–1777), von dem für den Zeitraum 1724–1777 rund 17 000 Briefe überliefert sind. Weil Haller das Geld fehlte, um seine ausgehende Korrespondenz kopieren zu lassen, sind nur rund 3700 seiner Briefe erhalten, die in jahrelanger Arbeit aus Bibliotheken in ganz Europa zusammengesucht werden mussten. Weil Haller umgekehrt schon im Alter von 15 Jahren beschloss, die an ihn gerichteten Briefe aufzubewahren, sind davon rund 13300 überliefert worden. Er erhielt – und beantwortete in der Regel – während gut 50 Jahren im Durchschnitt täglich einen Brief von meist mehreren Seiten Länge. Die Korrespondenz eines Wissenschaftlers, Dichters, Politikers und Privatmannes ist somit in grossem Umfang dokumentiert, auch wenn durch Säuberungsaktionen seines Sohnes Rudolf Emanuel in den 1820er-Jahren und durch die Entwendung der Briefe berühmter Absender wie Imanuel Kant oder Voltaire aus der Stadtbibliothek im 19. Jahrhundert einige 100 Briefe verloren sind.

Das Repertorium verzeichnet die Korrespondenzen mit den 1150 Briefpartnern und 50 Briefpartnerinnen mit Datum, Absender, Sprache, Umfang, Aufbewahrungsort und Hinweis auf Editionen (falls vorhanden). Zudem wird der Inhalt der Briefe kleinerer Korrespondenzen (bis fünf Briefe) referiert. Mittlere Korrespondenzen (6 bis 30 Briefe) sind nicht mehr Brief für Brief, sondern nur noch insgesamt zusammengefasst. Grosse Briefwechsel (31 bis 1500 Briefe) werden aufgrund von exemplarischen Auswahlen und Stichproben thematisch beschrieben. Nur auf diese Weise war es möglich, in nützlicher Frist (zehn Jahre Bearbeitungszeit) den riesigen Bestand der Burgerbibliothek, wo 75 Prozent der Haller-Korrespondenz aufbewahrt werden, für die internationale Forschung zu erschliessen. Die grossen Briefwechsel sind mit einer Abbildung – Porträt des Briefpartners, Titelblatt einer Publikation oder Schriftprobe – optisch hervorgehoben. Alle Korrespondenten und Korrespondentinnen werden in sehr nützlichen standardisierten Kurzbiografien vorgestellt. Der zweite Band enthält neben Korrespondenten-, Personen-, Orts- und Sachregister ein Verzeichnis der erwähnten Werke und Periodika sowie ein chronologisch und ein nach Absendeorten gegliedertes Briefregister. Auf der beiliegenden CD-ROM kann der Volltext der Bände in einer PDF-Datei mit Suchbefehlen durchforstet werden. Eine separate Briefdatei ermöglicht zudem statistische Abfragen nach Datum, Absender/Empfänger, Absende-/Empfangsort und Briefrichtung (Briefe von Haller oder an Haller).

Einleitende Texte des Herausgeberteams erläutern die Finanzierung des Projektes – durch den Schweizerischen Nationalfonds, die Albrecht-von-Haller-Stiftung der Burgergemeinde Bern, die Burgerbibliothek Bern, die Silva Casa Stiftung und den Lotteriefonds des Kantons Bern –, die Überlieferungsgeschichte und die Erschliessungsarbeiten. Zudem skizzieren und veranschaulichen sie mit acht farbigen Karten und Grafiken Umfang, Struktur und Bedeutung der Haller-Korrespondenz.

Die meisten Briefe erhielt Haller aus der Schweiz und Deutschland (je 40 Prozent), grössere Mengen aus Frankreich (7 Prozent), Italien (6), Grossbritannien (3) und den Niederlanden (2) sowie viele einzelne aus weiteren 15 Ländern von Spanien bis Russland. Die räumliche Herkunft der Briefe deckte sich nicht mit der verwendeten Sprache: Nur knapp 24 Prozent der Briefe waren deutsch verfasst, 38 Prozent französisch, denn so schrieben auch die wichtigen Genfer und Lausanner Briefpartner sowie die Berner Verwandtschaft. Die immerhin 21 Prozent lateinisch geschriebenen Briefe stammten meist aus Italien, aber auch etwa vom schwedischen Botaniker Carl von Linné oder vom Zürcher Studienfreund Johannes Gessner.

Die Struktur des Briefwechsels hing mit Hallers Laufbahn und Wohnorten eng
zusammen. Dominierten anfangs neben der Familie und Verwandtschaft die Studienkollegen aus Basel und Tübingen, so gewannen in seiner Zeit als Professor in Göttingen (1736–1753) insbesondere die deutschen Vertreter der Gelehrtenrepublik an Gewicht. Vor allem in der dritten Phase als Berner Magistrat (Grossrat seit 1745, Salzdirektor in Roche 1758–1764) wird Hallers Brückenfunktion zwischen Deutschland, England und Skandinavien einerseits, Italien, Frankreich und Spanien andererseits deutlich.

Inhaltlich nahmen wissenschaftliche Themen den grössten Raum ein. Es ging dabei insbesondere um den Alltagsbetrieb der Gelehrtenrepublik: um Vermittlung von Pflanzen, Literatur und Adressen, um Empfehlungsschreiben, Gesuche und Gutachten, um die Vorbereitung von Publikationen, die Erörterung von gelehrten Kontroversen und um Wissenschaftspolitik. Haller war in seinen Gebieten – Botanik, Physiologie, Medizin – eine europaweit anerkannte Autorität und wurde dementsprechend oft um wissenschaftlichen oder ärztlichen Rat gefragt. Doch auch schöngeistige Diskussionen und Gedichte sind im Briefverkehr des Literaten Haller nicht selten. Ein anderes Themenfeld betraf die ständische Gesellschaft. In diesem von Familienmitgliedern, Verwandten und Freunden dominierten Teil der Korrespondenz ging es um die Position der Familie Haller in Bern, um Heiratspläne, politische Karrieren und Parteinahmen in innen- und aussenpolitischen Angelegenheiten, wobei sich Haller oft als Konservativer positionierte – etwa in der Bewertung der Genfer Unruhen oder der französischen Aufklärung. Schliesslich wird in den Briefen auch Persönliches thematisiert: von selbst beobachteten Gefühlen ist die Rede, von Kindererziehung und Arbeitsethos, vom Medikamentenmissbrauch und vom Gesundheitszustand, der in den letzten vier Lebensjahren immer mehr Raum einnimmt.

Das Repertorium lädt zu weiteren Forschungen nicht nur über Haller und die
Wissenschaftsgeschichte ein, sondern auch über das Funktionieren der Kommunikationsnetze im Zeitalter der Aufklärung. Ihm kommt zweifellos Vorbildcharakter für andere, noch unerschlossene grosse Briefwechsel zu. Es bleibt zu wünschen, dass die Haller-Datenbank nun nicht brachliegt, sondern mit denjenigen anderer bedeutender Korrespondenzen des 18. Jahrhunderts verknüpft werden kann.

Zitierweise:
Andreas Würgler: Rezension zu: Boschung, Urs et al. (Hrsg.): Repertorium zu Albrecht von Hallers Korrespondenz 1724–1777, Basel, Schwabe, 2002 (Studia Halleriana, VII, 1–2), 1 CD-ROM. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 64, Nr. 4, Bern 2002, S. 203ff.

Redaktion
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 64, Nr. 4, Bern 2002, S. 203ff.

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